Die Vorsitzende der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs, Barbara Traub, war Gast beim traurigen Jubiläum. Sie sprach sich engagiert für eine Verteidigung von Grundrechten für Angehörige aller Menschengruppen aus und schloss dabei ausdrücklich auch muslimische Gläubige ein, die auch in Deutschland Opfer von Ausgrenzung werden.
Die Musiker Andreas Rapp und Felix Meyerle zeigten mit ihrem ebenso ansprechenden wie anspruchsvollen Programm, wie bewegend traditionelle jüdische Musik in Kombination mit Jazz-Elementen klingt.
Für die Stadt Ludwigsburg erklärte der Erste Bürgermeister Konrad Seigfried:
Ich freue mich, dass Sie alle heute Abend zur Gedenkfeier gekommen sind und darf Ihnen auch die herzlichen Grüße unseres Oberbürgermeisters Werner Spec übermitteln, der heute mit Schülerinnen und Schülern aus Ludwigsburg und Montbéliard das Ende des Ersten Weltkrieges begeht. Ich darf auch die Grüße unseres Gemeinderates übermitteln.
Wir sind heute wieder zusammengekommen,
• um gemeinsam ein Zeichen zu setzen,
• um gemeinsam die Erinnerung an diesen schrecklichen Teil unserer Stadtgeschichte wach zu halten,
• um gemeinsam unsere Stimme zu erheben für Menschlichkeit und gegen Rassismus,
• und um deutlich zu machen, dass wir für unsere Geschichte einstehen und Verantwortung übernehmen, alles dafür zu tun, um jeder Entwicklung Einhalt zu gebieten, die danach trachtet mit Ressentiments, Hass und Hetze Mitmenschen wieder zu Unmenschen zu definieren.
Wir feiern in diesem Jahr 300 Jahre Stadt Ludwigsburg. Ein Jahr der Rückschau, vor allem aber auch ein Jahr, das dem heutigen Zusammenleben und unserer Zukunft und Verantwortung gewidmet ist.
Der 10. November 1938 war der beschämendste Tag unserer 300 jährigen Stadtgeschichte. Und die Reichspogromnacht zählt zu den Ereignissen in unserem Land, die sich nie, nie auch nur in Ansätzen wiederholen dürfen.
Am 10. November 1938 fiel an genau diesem Ort die Ludwigsburger Synagoge dem Pogrom zum Opfer. Von Brandstiftern, also Verbrechern, angezündet, von vielen Bürgerinnen und Bürgern beobachtet, wurde das jüdische Gemeindeleben in dieser Stadt zerstört.
Vor 80 Jahren wurden während der Novemberpogrome in ganz Deutschland jüdische Friedhöfe geschändet, mehr als die Hälfte aller Synagogen und Betstuben niedergebrannt, über 7.500 Geschäfte jüdischer Inhaber demoliert und Wohnungen zerstört. Langjährige Nachbarschaften haben von einem Moment auf den anderen nicht mehr getragen. Mehr als 1.300 Menschen starben während dieses Pogroms und unmittelbar danach an den Folgen der Ausschreitungen.
Die gezielt geplanten Gewaltexzesse mutierten zum Flächenbrand, kaum eine jüdische Gemeinde blieb verschont. Die Reichs-pogromnacht markierte den Übergang von der fortschreitenden Diskriminierung deutscher Juden zu deren systematischer Entrechtung, Verfolgung und schließlich deren Vernichtung. Sie weitete sich mit Beginn des Zweiten Weltkrieges auf fast ganz Europa aus. Der Holocaust wurde zum Inbegriff einer kollektiven, industriell organisierten Ermordung von Menschen. 6 Millionen Jüdinnen und Juden wurden in Europa ermordet. Eine unvorstellbare Zahl, die erst mit der persönlichen Geschichte von Menschen, wie Sie auch hier auf dem Synagogenplatz dargestellt werden, in ihrem ganzen Grauen erkennbar wird.
Dieser Teil unserer Geschichte war ein offener Angriff auf jede Menschlichkeit und ein ungeheurer Zivilisationsbruch. Der kaum spürbare Widerstand, die fehlende Anteilnahme am Schicksal der jüdischen Menschen, die Gleichgültigkeit, war kennzeichnend für die Mehrheit der deutschen Bevölkerung. Dieser zivilisatorische Bruch ist, aus heutiger Sicht, für uns alle noch immer schwer erklärbar.
In einem kürzlich veröffentlichten Interview fasste ein Überlebender des Holocaust diesen Tag wie folgt zusammen: „Der 9. November. war ein Schicksalstag für alle Juden in Deutschland, er war das Ende des Lebens“
Wir gedenken heute gemeinsam dieser Ereignisse. Wir gedenken unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger, die zwar nicht hier auf dem Synagogenplatz, aber in Gefängnissen und KZs misshandelt, vertrieben und viele später ermordet wurden.
Wir verneigen uns vor unseren ehemaligen jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern und allen Opfern des Holocaust in tiefem Mitgefühl.
Mit diesem Gedenken halten wir die Erinnerung wach. Wir haben in diesem Jahr unseres Stadtjubiläums auch viele großartige Ereignisse unserer Stadtgeschichte wieder aufleben lassen. Doch wir setzen uns auch mit den Niederungen und Abgründen auseinander, um daraus Konsequenzen für unser Handeln zu ziehen.
Ludwigsburg ist eine großartige, inspirierende Stadt – damals als zukunftsweisende Modellstadt geplant, mit Gestaltungswillen und nimmermüdem Ideenreichtum. Stadt denken – Stadt leben – Stadt gestalten war in diesem Jahr unser Motto.
Dennoch vergessen wir auch die Momente unserer Stadtgeschichte nicht, auf die wir nicht stolz sind und die uns sehr beschämen:
• Die Zwangsrekrutierung von Soldaten („Soldatenverkauf“), die dann bspw. beim Kap-Regiment eingesetzt wurden. Von den 3 200 Mann, die von Ludwigsburg zur holländisch-ostindischen Kompanie verlegt wurden, kamen gerade einmal 125 zurück.
• Dem Justizmord an Joseph Süß Oppenheimer, dem Finanzier des Herzogs.
• Dem schändliche Umgang mit der Familie Elsas, ich erwähne ausdrücklich Max Elsas als Stellvertreter des damaligen Oberbürgermeisters.
• Und, gerade deswegen sind wir heute hier, dem Niederbrennen der Ludwigsburger Synagoge und der Vertreibung und Vernichtung des jüdischen Lebens in unserer Stadt.
• Auch die anfängliche Ablehnung der Zentralen Stelle zur Verfolgung von NS-Verbrechen durch Teile der Ludwigsburger Bevölkerung gehört nicht zum Ruhmesblatt von Ludwigsburg.
Sich im Sinne des grundsätzlichen Bekenntnisses zu unserer Demokratie kritisch mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen, bedeutet, Verantwortung zu übernehmen und künftige Fehlentwicklungen zu verhindern. Antisemitismus und die grundsätzliche Ausgrenzung von Minderheiten sind allgegenwärtige Probleme, die gerade in letzter Zeit wieder unangemessen und unangenehm Raum einnehmen und sich in unserer Gesellschaft breit zu machen drohen.
Auch unsere Ludwigsburger Stadtgeschichte taugt zur Mahnung daran, dass die Würde des Menschen, aller Menschen, unantastbar sein muss und alle aufgefordert sind, diese jederzeit zu verteidigen. Ich bin heute Stolz darauf, dass wir engagierte Menschen in unserer Stadt haben, die sich mutig einsetzen, dass wir viele Menschen finden, wenn es darum geht Humanität zu verteidigen, Rassismus entgegen zu treten und auch den Mut haben, ihren Mund auf zu machen.
Ich freue mich darüber, dass am Theaterturm weithin sichtbar, diese Losung unserer Verfassung prangt: Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Lassen Sie uns gemeinsam und immer wieder sichtbare Zeichen setzen:
• wie hier und heute auf dem Synagogenplatz, ein Ort zum Nachdenken, ein Ort der mahnenden Erinnerung,
• mit den bereits 77 Stolpersteinen in unserer Stadt, die das Schicksal unserer jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, aber auch das Schicksal von Behinderten, politisch Verfolgten in Erinnerung rufen.
• Demnächst mit einer Sophie Scholl- oder Geschwister Scholl-Schule. Im Übrigen auf Antrag unseres Jugendgemeinderates.
• Mit der Zentrale Stelle, die wir dauerhaft in Ludwigsburg mit einem wissenschaftlich-pädagogischem Konzept, als Gedenk- und Forschungszentrum erhalten wollen.
• Vor allem aber mit so vielen engagierten Menschen, wie sich nicht zuletzt im Arbeitskreis Synagogenplatz zu finden sind, einem lebendigen Beispiel, wie Bürgerinnen und Bürger aus unserer Mitte dafür sorgen, dass die Menschen, denen während der Naziherrschaft Unbeschreibliches widerfahren ist, nicht in Vergessenheit geraten.
Erlauben Sie mir an dieser Stelle an das Ehepaar Susanne und Uwe Müller zu erinnern, zwei im Förderkreis sehr aktive Mitglieder, die in diesem Jahr verstorben sind. Susanne und Uwe Müller war ihr Engagement im Arbeitskreis Synagogenplatz eine Herzensangelegenheit. Zahlreiche Ideen gehen auf sie zurück, die Schülergeschichtswerkstatt zum Beispiel oder die Lesung des Grundgesetzes hier auf dem Synagogenplatz. Ihr Kontakt zu allen Menschen war von einer Offenheit und Herzlichkeit geprägt, die bemerkenswert war.
Beide haben mit ihrem Wirken auch an uns die Frage gestellt:
Tun wir wirklich genug ,um dem Antisemitismus, Rechtsextremismus und Fremdenhass entgegen zu treten?
Nehmen wir wirklich wahr, wenn Menschen, wenn Minderheiten, wegen ihrer Religion, Hautfarbe oder sexuellen Orientierung diskriminiert werden?
Gerade jetzt, wo viele Menschen aus den Krisenregionen dieser Welt flüchten und bei uns Schutz suchen, braucht es besondere Achtsamkeit, braucht es den Rückhalt im Alltag, braucht es menschliche Werte. Werte unserer Verfassung, die nicht nur auf dem Papier stehen dürfen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
„Wir Menschen gestalten Geschichte. Mit realistischen Visionen und Klugheit können wir den Wandel vorantreiben. Das Beste, das uns gegeben wurde, ist unser Hirn. Wir müssen es nutzen“. Mit diesem Zitat des Dalai Lama bedanke mich für das Engagement vieler Menschen und ihr Kommen am heutigen Abend.
Insbesondere sage ich herzlichen Dank an sie, lieber Jochen Faber, der Sie auch heute wieder den Großteil der Vorbereitungen übernommen haben. Danken möchte ich auch meinem Fachbereichsleiter Volker Henning und seinem Team für die vorbereitenden Arbeiten.